Die vorliegende Arbeit setzt sich anhand der Analyse des Prosawerks von Bertolt Brecht ”Der verwundete Sokrates“ mit den Problemen der Kampfbereitschaft sowie -verweigerung eines Intellektuellen auseinander. Vermittels einer geisteswissenschaftlichen Therapie wird dargelegt, dass die Tollkühnheit einiger Soldaten, sich blindlings und ohne Bedenken zum Kampf an die Front zu begeben, als falsches Heldentum zu bezeichnen und Fahnenflucht als entschuldbares Mittel der Kampfverweigerung zu bewerten ist.
Die Hauptfigur, Sokrates erinnert insofern an Jakob Böhme bzw. Hans Sachs, als er sich in Brecht's Werk als Schuster verdingt.
Sokrates wird zwangsläufig an der Front eingesetzt. Von dort will er aus Überzeugung sogleich die Flucht ergreifen. Da gerät er in ein Dornenfeld, tritt in einen Dorn, so dass er vor Schmerz nicht laufen kann. In diesem hilflosen Zustand blickt er im Nebel dem Feind entgegen. Zunächst brüllt er nur, so laut er kann. Dabei schwingt er zur Abwehr
des Feindes sein Schwert im Kreise um sich. Die Perser wenden sich zur Flucht.
Sokrates befiehlt zwei Landsleuten, die vorbei kommen, auf der Stelle zu verharren.
Als die griechische Reiterei naht, erklären die Soldaten dem Alkibiades, Sokrates habe die wankende Schlachtreihe durch seinen Widerstand zum Stehen gebracht. Im Triumphzug bringt man Sokrates nach Hause, wo ihn seine Frau, Xanthippe argwöhnisch nach seiner vermeintlichen Heldentat befragt. Am Tag darauf ist sein
Fuss stark angeschwollen. Seine Schüler berichten ihm, ganz Athen sei seines
Ruhmes voll, er aber hört in Gedanken das Gelächter der ganzen Stadt.
Schliesslich erscheint Alkibiades selbst, um ihn dazu zu bewegen, ihn auf den
Aeropag zu begleiten. Sokrates berichtet die volle Wahrheit.
In diesem Zusammenhang hält Brecht zwei Sachverhalte für relevant: das Überleben
des Sokrates trotz der scheinheiligen Kriegsideologie zum einen, seine ehrliche
Bekenntnisse der Fahnenflucht trotz der öffentlichen Schande zum anderen.
Sokrates ist sich darüber im klaren, dass Kriege meistens aus Gewinnsucht der
herrschenden Klasse angezettelt und geführt werden. Darum erscheint es ihm sinnlos,
bei einem Scharmützel gegen die Perser als Kanonenfutter missbraucht zu werden.
So ist es nicht verwunderlich, dass er desertiert. Indem Brecht in diesem Werk das
Recht zu überleben hervorhebt, will er den renitenten Kampfgeist seiner Zeitgenossen
vor dem Zweiten Weltkrieg hinterfragen. Angesichts des atomaren Zeitalters ist eine
solche furchtlose Schwärmerei für den Krieg erweist sich als selbstzerstörerisch und
sinnlos: Feuert ein Pilot beispielsweise eine Atombombe ab, so hat dies beiderseitig
eine verheerende Katastrophe zur Folge. Auch wenn die Flucht vor dem Kampf
jeglicher Art scheinbar als feig betrachtet wird, gewinnt doch ”der Mut zur Angst“
im wahrhaften Sinne des Wortes seine Überzeugungskraft.
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